Der elitäre Kreis der Kopftuchträgerinnen

Frau steht an einer Erhöhung und schaut hinunter

Es ist ein schwieriges Thema. Keine Frage. Manche von uns tragen es, weil es Generationen vor ihnen trugen. Manche, weil es eine politische Haltung ist, manche, weil es eine bewusste Entscheidung ist ihren Glauben sichtbar zu manchen. Viele tragen es aber auch aus ihrer eigenen individuellen Motivation heraus. Das Kopftuch. Ein Tuch, das die Zugehörigkeit einer Frau zum Islam kenntlich macht. Gleichermaßen ein Tuch, das sie aus der Mehrheitsgesellschaft ausschließt. Doch es scheint ein elitärer Kreis zu existieren. Der elitäre Kreis der Kopftuchträgerinnen. 

Emanzipation und Islam sind kein Paradoxon

Ich möchte nicht bestreiten, dass alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, glücklich sind, doch ist es wiederum ebenso falsch zu behaupten, dass alle kopftuchtragenden Frauen unglücklich sind. Dass sie unterdrückt, gezwungen und bevormundet werden und ihnen das Recht auf eine emanzipierte Lebensweise entzogen wird. Es mag solche Fälle geben. Doch ist das Kopftuch, von dem ich spreche, nicht das Symbol dieser genannten Attribute. Emanzipation und Islam sind kein Paradoxon, sie sind nicht konträr zu betrachten, sondern stehen vielmehr im Einklang zueinander. Um das zu verstehen, muss man als Außenstehender seine durch das Medienbild getrübte Brille ablegen und der Ideologie vorurteilslos begegnen. 

Frau sitzt am Schreibtisch vor iMac

Warum diskutiert niemand mit mir?

Als ich mich vor 11 Jahren dazu entschied zum Islam zu konvertieren, war mir nicht klar in welchem Dilemma ich mich einst befinden würde. Dramatisiert wurde das Ganze, als das Kopftuch als offensichtliches Merkmal hinzu kam. Meine Argumente waren bereit. Mir war klar, dass es nun Kritik hageln würde. Ich war ready für den verbalen Fight. Hatte mir für jede erdenkliche Konstellation ein Konversationsmuster überlegt. Ich war überzeugt, dass ich in die offensive Rechtfertigung treten würde. Der innerliche Druck, den ich beim Verlassen des Hauses verspürte, war enorm. Jedes Mal, wenn ich jemandem begegnete, der mich so zum ersten Mal sah, ließ meinen Adrenalienspiegel in die Höhe steigen. Jedes Gespräch begann ich mit der Erwartungshaltung, dass mein Gegenüber nur den richtigen Moment abpassen würde, um mich in die Defensive zu manövrieren und mich zu verurteilen. Doch es blieb aus. Jedes Mal. Ich war gleichermaßen erleichtert und verwirrt. Warum wollte niemand mit mir diskutieren?

Du bist nicht allein!

Im späteren Verlauf bin ich immer wieder provokativen, fragenden und unglaubwürdigen Blicken ausgesetzt worden. Blicke von Menschen, die nicht bereit sind für ein multireligiöses Deutschland. Menschen, die sich wundern, warum ich mit meinen Kindern deutsch spreche und gleichermaßen erstaunt darüber sind, dass ich es überhaupt tue. Ich bin schlagfertiger geworden, mutiger und extrovertierter. Ich bin standhaft und überzeugt. Jeden Tag, wenn ich das Kopftuch binde, sind mir diese Attribute mehr denn je bewusst. Und ja, es ist anstrengend. Der Druck sich ständig beweisen zu müssen, ist konsequent präsent. Ständig zeigen zu müssen, dass man nicht in dieses medial vorgefertigte Bild gehört. Dass Intelligenz und ein Kopftuch keine Gegensätze sind. Ich weiß, ich bin nicht allein mit diesem Druck. Es gibt Millionen von Frauen, die davon betroffen sind. Sie sind weder unterdrückt, noch eingeschüchtert. Vielmehr intelligent, emanzipiert und extrovertiert. Sie sind stolz darauf und müssen sich trotzdem jeden Tag aufs Neue gegen eine ignorante medial konzipierte Wand behaupten. Es zerrt an unseren Kräften. Doch wer wird denn gleich das Kopftuch werfen? Wir sind nicht alleine. Wir sind eine Gemeinschaft mit dem selben Ziel: Den Wohlgefallen Gottes zu erlangen. Eine Verbindung, die das stärkste Band überhaupt ist. 

Wer definiert Normalität?

Anstatt sich nun in der weiblichen muslimischen Community gegenseitig zu bestärken, Mut zu machen und für einander einzustehen, erlebe ich oft kritikbereite, arrogante und selbstsüchtige Frauen. Das Kopftuch ist zum Maßstab für Gottesfurcht, Gläubigkeit und Frömmigkeit geworden. Je mehr Stoff Deinen Körper umhüllt, je religiöser bist Du. Oft erreicht mich die Frage, warum ich denn kein „normales“ Kopftuch tragen würde? „Normal“. Was definieren wir als „normal“? Je nach kulturellem Hintergrund, historischer Betrachtung und Exegese kann der Grad an Normalität schon variieren. Nach meiner islamischen Auffassung ist es vollkommen egal, ob eine Frau eine Burka, ein Niqqab, ein nach vorn gebundenes Tuch, einen Turban oder schlicht ihre eigenen Haare trägt. Es obliegt in niemandes Macht darüber zu urteilen, ob die Kleidung irgendeines Menschen „normal“ ist oder nicht. Es liegt im Verantwortungsbereich eines jeden Menschen selbst zu entscheiden, wie sie sich kleiden möchte. Das Urteilen übernimmt einzig und allein unser Schöpfer am Tag des jüngsten Gerichts.

Das islamische Gütesiegel “Kopftuch”

Entscheidest Du Dich für das Kopftuch, erhältst Du das islamische Gütesiegel. Du bist Mitglied eines elitären Kreises gottesfürchtiger Frauen. Meiner Meinung nach alles Quatsch! Wir sind Muslime. Gleichermaßen. Genauso mit wie ohne Kopftuch. Wir sind eine Gemeinschaft, die füreinander einstehen muss. Eine Schwesternschaft, die im selben Boot sitzt. Stattdessen wird das Boot in mehrere Unterdecks unterteilt. Die bedecktesten unter ihnen erhalten den sichersten Platz. Diejenigen ohne Kopftuch werden zuerst über Bord geworfen, um das Schiff vor dem Sinken zu bewahren. Doch was wir dabei vergessen: Hat das Boot erst einmal ein Leck, wird es sinken. So oder so. Und unser hat Boot ein Leck, es wird sinken, wenn wir als muslimische Gemeinschaft nicht endlich unsere Perspektive überdenken und unser Urteilsvermögen hinten anstellen. Uns mit Objektivität begegnen. Unsere Taten und unseren Charakter sprechen lassen können, ohne zu befürchten bereits stigmatisiert worden zu sein.

Ein Hilferuf!

Es ist ein Appell. Ein Hilferuf an eine Gemeinschaft, von dessen Existenz ich überzeugt bin. Jede von uns erlebt im Alltag Hürden, die sie überwinden muss. Die sie fordern, die sie demotivieren. Es ist unglaublich schwierig sich in einer Gesellschaft zu behaupten, die sowieso mehrheitlich die Ansicht vertritt, dass jedes Kopftuch ein Sinnbild für Unterdrückung und Manzipation sei. Zusätzlich noch den Gegenwind aus den eigenen Reihen zu spüren, ist dabei keinesfalls hilfreich.  

Anstatt uns gegenseitig zu verurteilen, lasst uns unsere Herzen für sich sprechen. Lasst uns als Gemeinschaft den Druck abwehren, der uns sowieso trifft. Gemeinsam.

Ich wünsche Euch einen gesegneten Freitag! 

Viele liebe Grüße und Salam

Eure Vanessa   Das letzte Wort zum Freitag verpasst? Hier geht es zum Blogpost.

3 Kommentare zu “Der elitäre Kreis der Kopftuchträgerinnen

  1. Kuskasy sagt:

    Sehr interessant geschrieben. Mich würde interessieren, warum du dich für das Kopftuch entschieden hast.
    LG aus Palästina
    Julia

  2. Nurcan sagt:

    Was für ein wunderschöner Blog, den ich erst jetzt entdeckt habe. Deine Worte sprechen mir aus der Seele und ich hoffe du schreibst weiter. Dein letzter Eintrag ist leider sehr lange her.

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