Horst Seehofer hat im Interview mit der BILD Zeitung seine Meinung klar positioniert. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Die hier lebenden Muslime aber schon. Ein Statement, das gerade danach schreit kommentiert zu werden.
Historisch betrachtet …
Natürlich habe ich seine Aussage, dass der Islam, historisch betrachtet, nicht die deutsche Kultur geprägt habe und somit nichts zur „deutschen Leitkultur“ beigetragen habe, verstanden. Aber wie zieht er daraus die Schlussfolgerung, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre? Warum wollen wir die Bundesrepublik Deutschland nur aus historischer Perspektive betrachten? Es geht doch um die aktuelle Situation in unserem Land, in dem nachweislich über 4 Millionen Muslime beheimatetet sind.
Die Kulturfrage
Jeder von ihnen trägt jede einzelne Sekunde durch seine alleinige Existenz in diesem Land zur deutschen Kultur bei. Kultur ist, meiner Meinung nach, kein starrer und festgesetzter Begriff. Es ist etwas, das sich entwickeln und auch Veränderung erfahren kann. Aktuell erfährt die deutsche Kultur eben Pluralität und den Einfluss anderer Kulturen. Ich habe den Eindruck, dass sich viele mit diesem Eingeständnis sehr schwer tun und diesen konsequent ablehnen.
Keine halben Sachen
Zu definieren, dass Muslime zu Deutschland gehören, der Islam aber nicht, ist der reinste Widerspruch. Entweder habe ich als Politiker den Mut öffentlich zu bekunden, dass weder der Islam, noch die Muslime zu Deutschland gehören oder ich setze mich differenziert mit der Thematik auseinander und gestehe ein, dass Muslime in Deutschland ohne den Islam gar nicht zu Deutschland gehören könnten. Ersteres würde ihn sicherlich schnell an den rechten Rand und in die braune Schublade katapultieren. Rein definitorisch tut sich da schon ein Abgrund auf. Wenn der Islam nicht schon in Deutschland angekommen wäre, bräuchte man sich über die Frage der Muslime gar keine Gedanken machen und umgekehrt.
Der Islam ist eine Lebensweise
Ein Mensch, der sich bewusst für den Islam entschieden hat, begegnet dieser Religion als Lebensweise. Ein Element, das so stark in den Alltag einfließt, dass es sich nicht einfach ausklammern lässt. Diese Lebensweise bildet die existenzielle Grundlage eines jeden Muslims und ist mit ein Teil, über den er sich identifiziert. Nenne ich mich Muslim ist der Islam alltagspräsent. Gehöre ich zu Deutschland, dann auch meine Religion. Das lässt sich nicht voneinander losgelöst betrachten.
Sonderfall konvertiert?
Ich bin deutsche Staatsbürgerin und Muslimin. Der Islam gehört zu mir und da ich aufgrund meiner Nationalität zu Deutschland gehöre, gehört der Islam auch automatisch zu Deutschland. Stattdessen wird aber nun erwartet, dass ich mich entscheide? Definiere ich mich nun über meine Religion oder meine Nationalität? Wie viele Definitionsbereiche sollen wir uns denn erschaffen, um uns als Individuum in diese Gesellschaft einordnen zu können? Und ist man nur integriert, wenn man sich den gleichen Kategorien zuordnet, wie die Mehrheit der deutschen Bevölkerung? Habe ich mein Recht nun verworfen darauf zu bestehen, dass ich Deutsche bin, als ich mich dazu entschied meine Religionszugehörigkeit zu ändern? Nein! Und das sage ich selbstbewusst, offen und energisch!
Wer gehört zu Deutschland?
Lasst uns endlich damit aufhören ständig alles zu kategorisieren und zu bewerten. Lasst uns auf gleicher Ebene begegnen ohne Hierarchien und unsere Kulturen und Religionen voneinander teilhaben lassen. Ein egalitäres Deutschland muss nicht nur eine Utopie sein. Es kann ein Deutschland sein, in dem sich Generationen nach uns auf Augenhöhe begegnen und sich gegenseitig zu Weihnachten und zum Ramadanfest gratulieren. Ein Ort, wo Interkulturalität, oder besser sogar Transkulturalität, nicht einfach nur eine Begrifflichkeit ist, die gerade hipp klingt. Deutschland soll ein Ort sein, wo dieses auch gelebt wird! Deutschland hat viele Farben. Lasst uns die Farbpalette endlich mischen und bunt werden!
Ich wünsche Euch ein wundervolles Wochenende und allen Muslimen zusätzlich einen gesegneten Freitag!
Eure Vanessa
Das letzte Wort zum Freitag findest Du übrigens hier.
Liebe Vanessa, ich finde deinen Text großartig geschrieben und kann dich in deinem Denken nur bestärken!
Traurig finde ich in diesem Zusammenhang auch immer diese Sichtweise der Gesellschaft einer “gelungenen Integration”, die daran festgemacht wird, wie gut sich ein Migrant an unsere Kultur angepasst hat. Man bekommt hier den Eindruck, als sei ein “guter” Migrant nur dann gut, wenn er bitteschön möglichst viel seiner “Herkunftskultur” abgelegt hat, um sich den deutschen Erwartungen zu beugen.
Wieso muss das so sein?
Ich sehe es genau wie du: Das eine schließt doch das andere nicht aus!
Wieso kann ein “guter” Migrant nicht auch ein Mensch sein, der BEIDE Kulturen vereint? Wieso muss er sich seiner Herkunft erst entledigen, um hier anerkannt zu werden?
Ist es nicht wichtiger, ein guter Mensch zu sein, der seine Mitmenschen und das Gesetz achtet, als dass er Schweinshaxe mit Bier in sich reinstopft? Sollte es nicht egal sein, ob er Richtung Mekka betet, oder in der Kirche, oder überhaupt nicht?
Ich sehe eine Kulturvielfalt ebenso als Bereicherung an wie du!
Nur weil mein Nachbar muslimisch ist und mein Vermieter Jude, heißt das doch nicht, dass ich dadurch gleich meine Identität verliere und plötzlich in ein kulturelles Loch falle, weil ich automatisch meine deutsche Kultur verliere, sobald sich ein Mensch mit anderem Glauben oder anderer Herkunft nähert.
Ich wünsche mir – speziell in Europa – gegenwärtig viel mehr Menschen wie dich, liebe Vanessa! 🙂
Du bist sehr inspirierend und ein tolles Vorbild!
Danke für Deinen tollen Beitrag und das liebe Kompliment! 🙂 Ich teile Deine Meinung zu 100% und bin wirklich froh, dass ich nicht allein bin mit meinen Gedanken.
Viele liebe Grüße
Vanessa
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